Hoch und Tief
Der Wetterfrosch
Es regnet unaufhörlich. Der Biberjunge läuft zum Postzelt, in dem Hummel Sumsa
wohnt und arbeitet. Ein Slogan an der Tür lässt ihn stutzen: „Informationen sind
wichtig!“ – Wie wahr! Bimbo tritt in das zitronengelbe Zelt ein. „Guten Abend,
Frau Hummel!“
„Summm, guten Abend, Bimbo! Hast du einen Brief geschrieben, summm, summm?“
„Nein, ich möchte nur den Wetterbericht. Haben Sie neue
Informationen?“
„Summm, jeden Morgen bekomme ich von Frau Taube die neusten
Meldungen, summm. Du musst verstehen, ich habe jetzt täglich Luftpost, summm,
weil Herr Hase und Daria so viel schreiben, summm, summm.“ Bimbo wirkt bedrückt
auf sie. Um besser sehen zu können, putzt sie mit den Vorderbeinchen ihre
Kontaktlinsen. „Summm, warum bist du so traurig? Ich sagte dir doch, dass es
regnen wird, summm, summm.“
„Das ist es ja, was mir Sorgen bereitet! Es will einfach nicht aufhören.“
Frau Hummel wackelt geheimnisvoll mit den Fühlern. „Summm, in den Bergen hat es längst aufgehört
zu regnen und ich glaube, bei uns wird ebenfalls bald die Sonne scheinen, summm! Mein Rheuma ist
seit heute verschwunden und das ist ein gutes Zeichen, summm, summm.“
Bimbo staunt:
„Wie bitte? Daran wollen Sie das Wetter erkennen?“
„Summm, frag Herrn Frosch, der weiß das ebenfalls, summm, summm!“
Das will Bimbo genauer wissen! Er verabschiedet sich und spaziert quer durch das Lager.
Herr Frosch wohnt auf der gegenüberliegenden Seite des Camps und hat ebenso ein grünes Zelt
wie er. Als Bimbo eintritt, angelt der soeben ein paar Fliegen aus einem
Glas und lässt es sich schmecken. Angewidert weicht der Biber zurück und
bleibt am Zelteingang stehen.
Herr Frosch lacht: „Quahahak, das kannst du wohl nicht ersehen?“ Verständnisvoll
verschließt er das Glas und stellt es beiseite. „Quak, seid ihr Vegetarier empfindlich!
Das ist meine Lieblingsspeise, quak. Danach kann ich besonders gut singen.“ Er bläst sich auf
und – „qua, qua, qua, qua, qua…!“, probiert er sogleich die Tonleiter rauf und runter.
„Danke, Herr Frosch“, unterbricht der Biber das Konzert, „ich bin nicht wegen der Musik
gekommen, sondern wollte ein paar Wettertipps von Ihnen.“
„Wettertipps?“ Herr Frosch fühlt sich geschmeichelt, dass seine außerordentlichen Fähigkeiten in der
Wetterprognose gefragt sind und reicht seinem Gast ein Kissen.
„Quaaak, setz dich! In Wetterfragen bist du bei mir an der richtigen Adresse!
Das ist meine große Leidenschaft, mein Hobby sozusagen, quak, quak!“
Bimbo setzt sich ihm gegenüber. Herr Frosch besitzt keine Möbel, dafür eine
abgetrennte luxuriöse Badestelle mit einer Grasmatte. Die Tropfen auf seinem
Rücken verraten, dass er eben aus dem Wasser gekommen sein muss.
Bimbo macht es sich auf dem Kissen bequem. „Herr Frosch, ich würde gern wissen, wie lange Sie
im Voraus das Wetter bestimmen können. Wird es in den nächsten Tagen regnen oder
wie Frau Hummel meint, die Sonne scheinen?“
„Quaaak, Frau Hummel hat Recht. Wir werden richtiges Sommerwetter bekommen,
quaaak! Ich spüre bereits, dass es mehrere Tage anhalten wird, quak, quak!“
„Spüren?“ Bimbo kratzt sich zweifelnd am Kopf. „Spüren Sie vielleicht auch, wenn es in den
Bergen regnet?“
„Quak – nein – quak, was denkst du dir? Ich spüre nur hier das Wetter, quak, ich weiß
aber, dass es lange anhalten wird, quak! Und wenn es lange anhält, ist ein
großes Hochdruckgebiet im Anmarsch und es regnet nirgends, auch in den Bergen
nicht, quak, quak.“
„Und wie lange wird es schön bleiben?“, bohrt Bimbo weiter.
„Quak, schön nennst du das, quak? Du bist doch ein Biber und hast das Wasser
genauso gern wie ich. – Aber ich weiß, wie du es meinst, quak, quak.“ Er hüpft
vom Kissen zur Badestelle und taucht einen Schwamm hinein. Damit beträufelt er
sich und hüpft auf sein Kissen zurück. „Regenwasser ist das beste, quaaak! Es
ist besonders weich, quak!“, rekelt er sich wohlig und genießt die feuchten
Tropfen auf seiner Haut. „Wenn jetzt ein Hoch kommt, muss ich mich mit
Brunnenwasser zufriedengeben, quak, quak.“
„Herr Frosch, Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Also, wie lange glauben Sie
wird das schöne Wetter anhalten?“
„Quak, mehrere Tage. Das sagte ich doch. Genauer kann dir nur Frau
Hummel antworten, quak.“
Seufzend erhebt sich Bimbo. „Von der komme ich eben.“
Er hofft, dass die Postfrau und der Frosch Recht behalten mögen und der Regen
bald aufhört. „Ich danke Ihnen für die Auskunft und will nicht weiter beim
Essen stören.“
„Quak, bitte, keine Ursache, quak. Dein Besuch hat mich gefreut,
quak.“ Die beiden verabschieden sich und Bimbo tritt den Rückweg an.
Herr Dachs als Philosoph
Als der Biber am Sanitätszelt vorbeikommt, winkt ihn Herr Dachs
herein. „Hallo Bimbo! Wohin gehst du? Wir wollten dich zum Abendbrot einladen,
denn ich glaube, du hast nichts zu futtern.“ Herr Dachs wäscht sich gründlich in
einer Schüssel.
„Können Sie hellsehen?! Ich bin den ganzen Tag nicht zum
Einkaufen gekommen. Übrigens, ich habe mir von Herrn Frosch ein paar Tipps für
die Wettervorhersage geben lassen und jetzt bin ich auf dem Heimweg.“
„Gute Idee! Ein Frosch spürt das Wetter“, bestätigt Herr Dachs dem überraschten Biber
und rubbelt weiter.
„Frau Hummel hat sogar behauptet, dass sie an ihrem Rheuma spüren würde, ob es sich ändert.“
Der Sanitäter trocknet sich lächelnd ab. „Natürlich, das ist völlig richtig! Wenn du wissen willst, wie das Wetter werden
wird, kannst du auch die Schwalben beobachten. Fliegen sie tief, wird es regnen,
fliegen sie hoch, wird es schön.“
Bimbo schaut ihn an. Flachst der Dachs nur? „Und warum ist das so?“,fragt er.
„Bei schönem Wetter erwärmt die Sonne die Luft. Sie steigt hinauf und nimmt die Insekten
mit. Da sich Schwalben von Insekten ernähren, fliegen sie ihnen nach. Deshalb fliegen sie
hoch. – Bevor es regnet, verkriechen sich Fliegen, Mücken, Käfer unter Blättern oder
Grashalmen. Also stellen ihnen die Vögel am Boden nach. Deshalb fliegen sie tief.“
„So einfach ist das?“
Herr Dachs schüttet das Wasser in einen Behälter, spült und wischt die Schüssel aus.
„So einfach ist das. Wenn nur alles so einfach wäre…“ Herr Dachs setzt sich und bietet
dem Jungen einen Stuhl an. „Ich habe erfahren, dass deine Burg fortgerissen wurde.
Es tut mir Leid, mein Junge, dass du nun kein Zuhause mehr hast.“
Traurig lässt Bimbo den Kopf hängen. „Dieses Jahr ist es wie verhext: Erst stirbt mein
Vater, dann kommt das Hochwasser und nun schwemmt es meine Burg weg!“
„Das ist ein schweres Schicksal für einen jungen Biber. Doch wie der Wetterfrosch Hoch und
Tief kennt, kennt das Leben Höhen und Tiefen. Es läuft nicht immer alles glatt. – Du jedenfalls
solltest die Zeit im Lager nutzen und eine neue Burg planen! Sieh dieses Tief
als einen Neuanfang und bald wird auch für dich die Sonne wieder scheinen.“
„Sie haben gut reden.“
Herr Dachs
streicht
Bimbo über den Kopf. „Hab Geduld, mein Junge! Irgendwann verzieht
sich jede Wolke.“ Augenzwinkernd erhebt er sich. „Komm jetzt! Daria wartet mit dem Abendbrot.“
Bimbo schmunzelt wieder und nimmt gern die Einladung an.
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