Der Beginn einer Freundschaft 

 

Badeausflug

 

 

Die Sonne brennt. Das Gras krümmt sich vor Durst und hat sich gelb gefärbt. Der Waldsee führt nach wie vor wenig Wasser. Bimbo lässt sich selten an der Oberfläche sehen. Er verkriecht sich bei der Wärme lieber in seiner Burg und hält tagsüber ein Schläfchen. 

Um ihn ein wenig im Blick zu haben, schlägt er seinen Kindern vor, baden zu gehen. Ivi hüpft übermütig auf zwei Beinen um den Tisch herum: „Da kann ich endlich richtig schwimmen lernen! Das ist ,knorke wie Borke’!“, wiederholt sie so oft, dass die Mutter sie mahnen muss. 

Es ist heiß, die Luft ist schwül. Bepackt mit Rucksäcken und einer Decke läuft die Igelfamilie zum Waldsee. Vater Igel hat seinen Stock dabei und trägt die größte Last, die Mutter schleppt einen Korb mit Speisen. 

Eine leichte Brise kommt auf, die die vier Wanderer etwas kühlt. Die Igelmutter meint, dass es am Abend wohl gewittern wird und sie nicht zu lange bleiben sollten. Schließlich findet Familie Igel einen schattigen Platz am Seeufer. 

Die Kinder hält nichts mehr! Übermütig stürmen sie mit dem Vater ins kühle Nass. Während sie toben, stellt Mutter Igel Speisen und Getränke bereit, denn Baden macht hungrig. Sie selbst beobachtet vom Ufer aus ihre Familie. Igelkinder sind überall in Gefahr. An Land schützen sie ihre Stacheln, doch im Wasser nützen sie ihnen nichts. Sie könnten sogar Opfer von Raubfischen werden. 

In den Bäumen säuselt der Wind. Leicht wiegen ihre Wipfel hin und her. Unter Vaters Anleitung übt sein Töchterchen ein paar Schwimmzüge, und Ido paddelt auf den See hinaus.  

An der Biberburg ist alles ruhig. Bimbo ist nirgends zu sehen. Vielleicht ist es ihm zu laut, und er ist in seine Burg abgetaucht? Je lauter sie allerdings herumtollen, desto sicherer ist Familie Igel, weil Füchse Lärm nicht mögen. Und der Fuchs könnte durchaus wieder in der Nähe sein. 

Der Wind wird stärker. Vater Igel beendet vorerst die Schwimmstunde: „Ich hab Hunger, ihr nicht?“ Mit der Aussicht auf Naschereien überzeugt er selbst seine Tochter, aus dem Wasser zu steigen. 

Nach dem Essen bestehen die Igeleltern auf einer Pause. Ivi drängelt und schubst übermütig ihren Vater von der Decke. Um etwas Zeit zu gewinnen, kampelt der lachend mit ihr. Doch als das Spiel von einem dumpfen Rumpeln unterbrochen wird, lässt er sich überreden. 

Seine Tochter ist nicht mehr zu halten: „Jetzt schwimme ich bis zur Biberburg!“, verkündet sie stolz. Vater Igel läuft mit seinen Kindern ins Wasser und lässt es auf einen Versuch ankommen. 

Nach ein paar Metern gibt Ivi auf. Auch Ido ist ungeübt und kehrt in der Mitte des Sees um. Der Igelvater nimmt seine Tochter auf den Rücken und schwimmt mit ihr zur Biberburg. Er hört Bimbo in seiner Burg rascheln und schwimmt mit ihr zum Ufer zurück, wo Ido schon auf seine Schwester wartet. 

Im seichten Wasser spielen die Kinder Haschen. Vater Igel setzt sich zu seiner Frau auf die Decke und blickt gen Himmel. Allmählich ziehen Wolken auf, und in der Ferne rumpelt es. Der aufkommende Wind lässt kleine kräuslige Wellen über das Wasser tanzen. 

Vater Igel packt die Sachen zusammen, die Mutter bittet die Kinder aus dem Wasser: „Ido, Ivi, wir müssen heim!“ Während Ido nickt, dass er verstanden hat, lässt sich seine Schwester beim Spiel nicht stören. Eifrig versucht sie, ihrem Bruder zu entkommen und gerät dabei tiefer in den See. 

Plötzlich hält sie etwas fest! Sie verliert die Balance und sinkt auf den Grund. Je mehr sie zappelt und versucht an die Oberfläche zu gelangen, desto fester wird sie umklammert. Aus ihrem Schrei werden durchsichtige Blasen, die an ihr vorbeiblubbern. Ivi sieht sie noch aufsteigen, bevor sie die Dunkelheit verschlingt.

Ihr Bruder weiß nicht, was er davon halten soll. Versteckt sich Ivi bloß? Verwirrt steht er im Wasser und sucht nach allen Seiten, an welcher Stelle sie wieder auftauchen könnte. Weil er sich bewegt, sieht er die aufsteigenden Blasen nicht. „Ivi? Ivi, wo bist du?“ 

„Ericho!“, ruft Mutter Igel erschrocken und tastet den Grund am Ufer ab. Der Vater wirft sich in den See und taucht. 

Allmählich begreift Ido. Er kann aber nicht so gut tauchen wie sein Vater, der hastig den Boden des Sees absucht. Das Wasser wird trüb. Ido kann nichts mehr erkennen und tastet blind nach seiner Schwester.
 

 

  

Auch sein Vater sieht kaum die Pfote vor Augen. Er zwingt sich zur Ruhe und sucht dort weiter, wo Ivi stand - nichts. Schließlich muss er atmen und taucht auf. Die Zeit drängt: Wie lange wird das Mädel ohne Sauerstoff überleben können?! 

Vater Igel schnappt nach Luft und taucht erneut. Plötzlich schwimmt ein dunkler Schatten an ihm vorbei, Schlamm wird aufgewirbelt! Herr Igel spürt, wie das Wasser um ihn herum tanzt und sich ein schwarzes Etwas hastig vom Grund löst. Vater Igel erschrickt: Etwa ein Wels, ein Barsch oder gar ein Hecht?! Bedeutet das Gefahr? Zu seinem Erstaunen schwimmt dieses Etwas rasch an die Oberfläche. 

Herr Igel taucht auf. Es ist Bimbo! Wie erleichtert ist der Vater, als er sieht, dass der Biberjunge seine Ivi ans Ufer legt. Vater Igel schwimmt heran, bedankt schnell bei ihm und beugt sich über seine Tochter. 

Ivi atmet nicht. Verzweifelt beginnen die Eltern, die Kleine wiederzubeleben. „Ivi, Ivi! Wach auf, Ivi! Ivi, hörst du uns?“ Sie rührt sich nicht. Vater Igel dreht sie auf die Seite und drückt auf Rücken und Brustkorb. Endlich läuft Wasser aus ihrem Mäulchen. Er drückt ruckartig in die Herzgegend, bis seine Tochter schließlich hustet und atmet. Erleichtert schließt Mutter Igel ihre Tochter in die Arme und der Vater lässt sich erschöpft auf die Decke fallen. 

In der Ferne grollt der Donner. Wolken verdunkeln den Himmel und der Wind frischt auf.

Ido steigt ans Ufer und will wissen, was passiert war. Doch seine Schwester kann nicht sprechen und ringt nach Luft. Der Biberjunge erklärt: „Sie war mit dem Fuß in eine Schlingpflanze geraten.“ 

„Bimbo, woher wusstest du, dass Ivi in Gefahr war?“, fragt Vater Igel. 

„Ich habe bemerkt, dass jemand im See badet und sah, dass ihr das seid. Als ich später die Schreie hörte, ahnte ich die Gefahr: Die Schlingpflanzen sind durch die Wärme der letzten Tage recht groß geworden. Also habe ich die Strömung berechnet, wohin Ivi getrieben sein könnte, bin schnurstracks zu ihr geschwommen und musste die Pflanze herausreißen, um das Mädchen befreien zu können.“ 

„Du bist ein tapferer, kluger Junge! Dein Vater wäre stolz auf dich!“, lobt ihn Herr Igel und drückt ihn väterlich. 

Bimbo ist das peinlich. „Herr Igel, bevor es gewittert, gehe ich mit Ido den Sanitäter holen!“, erklärt er, und die beiden Jungs laufen auf den Waldweg Richtung Dachsbau. 
 

 

Das Gewitter
  
               

Ivi hat die Augen halb geschlossen. Ihr ist kalt. Alle sind weit weg. Wie durch Nebel hört sie die Fragen, doch sie will nur schlafen. Ihr tut die Brust weh und sie schließt die Augen. 

Die Mutter rüttelt sie wach: „Ivi, Ivi, hörst du mich?! Ivi, bleib bei uns!“ 

„Schlafen, ich will schlafen“, bringt sie mit schwacher Stimme hervor. Sie hüstelt und hört den Vater: „Du kannst jetzt nicht schlafen. Bleib wach, Mädel! Herr Dachs kommt gleich!“ 

Die Mutter fragt sie: „Weißt du, was passiert ist?“ 

„Ich bin wohl ertrunken?“ 

„Beinahe. Bimbo hat dich gerettet! Ich bin ja so froh!“ Sie streicht ihrer Tochter über die Kopfstacheln und drückt sie. 

Das Grollen kommt näher und der Wind wird stärker. Die Baumwipfel biegen sich beängstigend! Vater Igel lugt zum Himmel: „Hoffentlich sind die Jungs bald zurück, sonst kommen wir in das Gewitter.“ 

Außer der Decke, auf der Ivi liegt, ist alles eingepackt. Mutter Igel wickelt ihre Tochter darin ein. „Wir sollten den beiden entgegengehen!“ 

Eine Bö wirbelt Staub, Laub und Äste auf. Der Wind zerfetzt Vater Igels Antwort, er muss laut rufen: „Du hast Recht! Sollte Herr Dachs nicht aufzufinden sein, können wir unter seinem Vordach Schutz vor dem Unwetter finden. Es ist zumindest näher, als zu uns nach Hause!“ 

Die ersten Blitze zucken und das nahe Grollen des Donners ist zu hören. Eilig packt die Mutter das Gepäck auf ihren Rücken, Vater Igel hebt seine Tochter hoch. 

Es regnet, ein greller Blitz erhellt den Himmel und ein Donnerschlag kracht gleich hinterher. Nur weg vom See und raus aus dem Wald! Die beiden Igel laufen, was ihre Beine hergeben. Zwar wohnt Herr Dachs im Wald, aber in seinem flachen Bau ist es jetzt sicherer, als zwischen den hohen Bäumen am See. Auf halbem Wege begegnen ihnen die Jungs und der Sanitäter. Sie verständigen sich wortlos, zurück zum Bau zu laufen. Oben angekommen, hält Herr Dachs die Tür weit auf und einer nach dem anderen betritt die Stube. 

Geschafft! Ivi wird in der Mitte des Raumes auf ein Fell gelegt. Während Herr Dachs das Mädchen untersucht, dreht sich der Biberjunge zum Fenster. Es ist noch gar nicht lange her, da lag sein Vater auf diesem Fell. Bimbo setzt sich wie gewohnt an den kleinen Tisch und winkt Ido heran. Schweigend schauen die beiden durchs Fenster. Die Regentropfen perlen wie Tränen über die Scheibe. Der Weg liegt voller Äste, die der Sturm von den Bäumen gebrochen hat. 

Herr Dachs serviert Tee, lädt Mutter und Vater Igel ein, sich mit an den Tisch zu setzen. „Ivi bleibt bei mir und ruht sich aus. Heute schafft sie den Weg nicht bis nach Hause. Morgen werde ich ihre Lunge noch mal abhören, und wenn alles in Ordnung ist, können Sie die Kleine mitnehmen.“

Die Eltern sind beruhigt. Vater Igel klopft Bimbo auf die Schulter: „Komm uns doch bei Gelegenheit besuchen Wir müssen Ivis Rettung feiern!“ 

Der Igeljunge ruft: „Ja, da könnte ich dir mein Morsegerät zeigen!“ 

„Morsegerät?“ Das Morsegerät interessiert Bimbo. Da könnte er sich auch eins bauen, hätte eine Verbindung zu Igels und wäre nicht mehr so allein. 

Schon bald rumpelt es leiser. Endlich lässt auch der Regen nach, die Wolken verziehen sich. Als die ersten Sonnenstrahlen den Boden berühren, verabschieden sich Igels und Bimbo von Herrn Dachs. 

Die beiden Jungs laufen fröhlich vorneweg. Übermütig werfen sie Äste zur Seite, die der Wind auf den Weg gefegt hatte. „Wollen wir um die Wette rennen?“, fragt Ido den Biberjungen. Er ist sicher, dass er gegen den schwerfälligen Koloss gewinnen wird!

Bimbo bringt sich gleich auf allen vieren in Position. Ido ruft: „Achtung! Auf die Plätze, fertig – los!“ Doch der sonst so behäbige Biber saust ihm davon! 

Bimbo strahlt, als er als erster am See eintrifft. „Sieger! Ich bin Sieger!“ 

Ido hetzt heran und meint zu seiner Verteidigung: „Du bist auch größer und hast die längsten Beine von uns.“ 


 

 

„Dafür bin ich das Laufen nicht gewohnt!“

„Ach, streiten wir uns nicht! Ich gebe ja zu, du warst klasse. Ich gratuliere zu deinem Sieg! – Wollen wir von nun an Freunde sein?" 

„Klar!“ Die beiden bekräftigen ihre Freundschaft mit einem Pfotenschlag und als Igels herangekommen sind, verabschieden sie sich. 

Bimbo ist glücklich. „Ich komme bestimmt bald vorbei!“, ruft er ihnen nach und taucht in seinen See. 

Herr Igel prüft unauffällig die Mauer. Noch ist der Wasserstand niedrig, doch durch das Gewitter wird sich der Waldsee in den nächsten Stunden füllen. – Vielleicht macht er sich nur zu viele Sorgen, und er sollte dem Jungen einfach vertrauen. 

Allmählich wird es Abend. Die Sonne versinkt hinter den Hügeln und die drei Igel wandern am Plätscherbach entlang nach Hause. Jeder vermisst Ivis fröhliches Plappern. Vor ihrem Haus entdecken sie einen Regenbogen. Der spannt sich über die Wiese bis zum Horizont. Und irgendwie haben alle das Gefühl, dass er ihnen Glück bringen wird. 

  

 

Idee und Gestaltung:   Evelyne Koitzsch, Dresden    ©  -  E-Mail:    eadam1(at)gmx.de